Zur Person: Tizza Covi und Rainer Frimmel
Entlang der Biografie verdienter heimischer Filmschaffender denkt die Reihe Zur Person über österreichische Film- und Kinokultur nach. 2022 widmet sich das Filmprogramm vom 6. bis 10. April dem international preisgekrönten Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel, das für Aufzeichnungen aus der Unterwelt zuletzt unter anderem mit dem Großen Diagonale-Preis Dokumentarfilm und damit zum insgesamt vierten Mal in einer Hauptkategorie des Festivals ausgezeichnet wurde. Für Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger, Festivalintendanz der Diagonale, ist das Zustandekommen der Filmschau eine Herzensangelegenheit, für die mit der Camera Austria eine ideale Partnerin gefunden werden konnte: Parallel zur und in Koproduktion mit der Diagonale’22 zeigt diese vom 18. März bis 22. Mai eine umfangreiche Fotoausstellung zu Covi und Frimmel – „Über die Ränder“. Das gemeinsame Programm markiert die erste umfassendere Werkschau eines Œuvres, das sich zwischen künstlerischer Fotografie und Autor*innenkino aus fiktionalen und dokumentarischen Arbeiten aufspannt.
In beidem erkennt Reinhard Braun, künstlerischer Leiter der Camera Austria, eine kooperative Qualität: „Es könnte [dabei] darum gehen, die Bilder – filmische wie fotografische – trotz ihrer behutsamen Präzision und der Genauigkeit ihrer Montage – oder gerade dadurch – zu öffnen, zum ‚Terrain‘ eines gemeinsamen Interesses, eines gemeinsamen Projektes, einer gemeinsamen Widerständigkeit und einer gemeinsam erlebten Fremdheit zu machen, das heißt zu einer kooperativen Erzählung, der nicht immer eine eindeutige Autor*innenschaft zu Grunde liegt und die in dieser Weise die Macht, die von der Repräsentation ausgeht, anders verteilt.“
Das Filmprogramm wird vom 6. bis 10. April im Rahmen der 25. Diagonale in Graz zur Aufführung gebracht und von vertiefenden Gesprächen (Diagonale im Dialog) mit Filmjournalist Bert Rebhandl gerahmt.
Filmliste Zur Person: Tizza Covi und Rainer Frimmel
— Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre (R: Rainer Frimmel, AT 1993–2000)
— Das ist alles (R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, AT 2001)
— Babooska (R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, AT/IT 2005)
— La Pivellina (R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, AT/IT 2009)
— Der Glanz des Tages (R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, AT 2012)
— Mister Universo (R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, AT/IT 2016)
— Aufzeichnungen aus der Unterwelt (R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, AT 2020)
Das Außergewöhnliche im Alltäglichen
Die vielfach ausgezeichneten und auf internationalen Festivals vorgestellten Arbeiten des Wiener Regieduos Tizza Covi und Rainer Frimmel gehören zu den interessantesten und sinnlichsten der jüngeren österreichischen Filmgeschichte. Sozialrealistisch und poetisch zugleich, faszinieren sie nicht zuletzt durch ihre feinfühlige Zuneigung zu ihren Protagonist*innen.
Den Auftakt der Reihe Zur Person bildet Rainer Frimmels zwischen 1993 und 2000 entstandenes Dokumentarfilmdebüt Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre – die Montage einer Selbstdokumentation des Wiener LKW-Fahrers Peter Haindl in Videobildern, ein Monolog voller Abgründe und ein Pandämonium der österreichischen Seele.
Die erste gemeinsame Filmarbeit des Regieduos Das ist alles (AT 2001) dokumentiert den Alltag der deutschstämmigen, russischen und armenischen Bewohner*innen in einem Dorf nahe Kaliningrad, wo durch die Umsiedelungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg eine multinationale Dorfstruktur entstanden ist. Der Film feierte seine Premiere beim Festival von Nyon und wurde dort mit dem Nachwuchspreis Regards Neufs ausgezeichnet.
2002 gründeten Tizza Covi und Rainer Frimmel die Filmproduktionsfirma Vento Film, um ihre Filme unabhängig zu produzieren. Daraufhin realisierten sie den zweiten gemeinsamen Dokumentarfilm Babooska (AT/IT 2005). Ein Jahr lang reisten die Regisseur*innen mit der gleichnamigen Artistin und deren Wanderzirkus durch Italien. Entstanden ist ein melancholisch-humorvolles Roadmovie über modernes Nomadentum. Bei der Recherche zu Babooska lernten Covi und Frimmel ihren späteren Protagonisten Tairo kennen, dem sie den Film Mister Universo (AT/IT 2016) widmeten. Babooska feierte auf der Berlinale 2006 im Internationalen Forum des jungen Films seine Premiere und erhielt den Preis für den besten Debütfilm. Bei der Diagonale 2006 wurde Babooska für die „subtile Beobachtung“ und „präzis-atmosphärische Bildgestaltung“ (Jurybegründung) als bester österreichischer Dokumentarfilm mit dem Großen Diagonale-Preis ausgezeichnet.
Bereits 2010 lief der nächste Film des Regieduos im Wettbewerb der Diagonale: La Pivellina (AT/IT 2009), ihr erster Spielfilm. Der erneut im Zirkusmilieu angesiedelte und an Originalschauplätzen mit den dortigen Bewohner*innen entwickelte Film schafft mit seiner dokumentarischen Herangehensweise eine „unmittelbare Nähe zu seinen Figuren“ (Jurybegründung) und wurde mit dem Großen Diagonale-Preis Spielfilm ausgezeichnet. Der 2009 bei der Quinzaine in Cannes uraufgeführte Film wurde außerdem mit dem Europa Cinemas Label prämiert und war Österreichs offizieller Beitrag für die Oscars 2011. Zudem eröffnete er 2009 als erster österreichischer Film die Viennale.
Auch im darauffolgenden Spielfilm schuf das Regieduo einen Film aus dem gelebten Leben seiner Darsteller*innen. Im beim Locarno Film Festival uraufgeführten und mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichneten Spielfilm Der Glanz des Tages (AT 2012) trifft der österreichische Schauspieler Philipp Hochmair den Schausteller Walter Saabel – der Rest ist Improvisation. Der Film „bewegt, ohne zu manipulieren, schickt einen auf eine Reise mit ungewissem Ausgang und inspiriert mit Witz zu politischem Handeln“, wie die Jury konstatierte, die die Filmemacher*innen – zum dritten Mal (!) – mit dem Großen Diagonale-Preis, diesmal für den besten österreichischen Spielfilm, auszeichnete.
Mit ihrem nächsten Spielfilm Mister Universo (AT/IT 2016) tauchen Covi und Frimmel wieder ins Zirkusmilieu ein und folgen der Geschichte des Dompteurs Tairo auf seiner Suche nach dem entschwundenen Glück. Der Film feierte 2016 im internationalen Wettbewerb von Locarno Premiere und wurde dort mehrfach ausgezeichnet. Bei der Diagonale’17 bekamen Covi und Frimmel für das Drehbuch mit seinen „zerbrechlichen Protagonisten und Protagonistinnen“ die „in ihrer beklemmenden Unbeholfenheit berühren“ (Jurybegründung) den Thomas Pluch Spezialpreis der Jury.
Zuletzt erkundete das Regieduo mit dem Dokumentarfilm Aufzeichnungen aus der Unterwelt (AT 2020), der seine Uraufführung bei der Berlinale 2020 feierte, das Strizzimilieu im Wien der 1960er-Jahre – eine „Liebeserklärung“, ein „Meisterwerk“, wie der Falter konstatierte. Ein Film, „der Leben erfahrbar macht, die so vielleicht gar nicht stattgefunden haben“, wie die Jury der Diagonale’20 bei der Verleihung des Großen Diagonale-Preis Dokumentarfilm bemerkte. Die bereits vierte Auszeichnung in einer Hauptkategorie der Diagonale markiert einen weiteren Höhepunkt in der Karriere Tizza Covis und Rainer Frimmels.
Weniger bekannt ist das fotografische Œuvre von Covi und Frimmel, das nicht nur als Vorstudie zu ihren Filmen gesehen werden muss, sondern eigenständigen Betrachtungsweisen und künstlerischen Konzepten folgt. Das gemeinsame Programm von Diagonale und Camera Austria markiert die erste umfassendere Werkschau zu Tizza Covi und Rainer Frimmel. Die Fotoausstellung „Über die Ränder“ wird am 18. März um 18 Uhr eröffnet und ist bis 22. Mai 2022 in der Camera Austria zu sehen. Ein Gespräch mit den Künstler*innen findet am 9. April 2022 um 13 Uhr ebendort statt. Das Filmprogramm wird im Rahmen der Diagonale’22 vom 6. bis 10. April zur Aufführung gebracht und von vertiefenden Filmgesprächen gerahmt.
Rainer Frimmel (Wien) und Tizza Covi (Bozen) wurden 1971 geboren. Von 1992 bis 1994 besuchten beide das Kolleg für Fotografie an der Graphischen Lehranstalt in Wien. Während Frimmel 1995 einen Lehrgang für Kameraassistenz anhängte, arbeitete Covi bis 1998 als freie Fotografin in Rom. Seit 1996 arbeiten sie zusammen an Projekten in den Bereichen Fotografie, Theater und Film.